Dreharbeiten mit alten Borgwards:
Anfang September 2010: Gerhard Würnschimmels Garage dämmert in herbstlicher Ruhe vor sich hin. Bis plötzlich die Nachricht eintrifft, das eine Filmproduktion angefragt hat, zwei Fahrzeuge für einen Dreh in der Steiermark anzumieten. Natürlich ist es nett, auch mal ein paar von den vielen Euros zurückzubekommen, die man in sein Hobby steckt, aber das Dumme ist: Erstens hat er gerade jetzt sehr viel in der Firma zu tuen, und zweitens ist eines der beiden – ein 1950er Borgward B 1250 LKW, seit mindestens einem Vierteljahrhundert unbewegt unter einem Flugdach gestanden. Vom zweiten, einem optisch wunderschönen Hansa 1500 aus dem selben Baujahr, nehmen wir zu diesem Zeitpunkt noch an, das er mit wenig Aufwand wieder straßenfertig gemacht werden kann.
Denn das Nette an dem ganzen Auftrag ist: Die Dreharbeiten beginnen in 10 Tagen. Also stürzen Gerhard und ein sehr fähiger Mechaniker sich nachts noch auf die Autos, statt den Feierabend zu genießen, während ich versuche, die Wege und Irrwege 60 Jahre alter Verkabelungen zu begreifen.
Der Erste Schock: Beim 1500er steckt der Motor! Nachdem Hausmittel ebenso versagt haben wie mäßige Gewalt, beschließt Gerhard; Der Kopf muß runter, am Seil anzureißen ist zu riskant. Kurz danach wissen wir, wie recht er hatte: Während der vielen Jahre, die der Wagen als Leihgabe im Deutschen Museum in München stand, hat die Kopfdichtung eine kleine Undichtigkeit bekommen, und Kühlflüssigkeit ist in einen Zylinder gesickert. Das muß sehr langsam gegangen sein, und dann ist die Flüssigkeit dort auskristallisiert, so daß sich ein kleiner Lawinenkegel aus Kristallen auf dem Kolben gebildet hat, mindestens 2 cm hoch. Also nix mit nur mal eben die Bremsen nachsehen. Während ich den Kopf nach alter Art mit Schleifpaste auf einem ganz ebenen Eisentisch wieder planschleife – eine sehr meditative Tätigkeit, stundenlang das Eisentrumm hin und her zu bewegen, werden Kolben ausgebaut, die Ölpumpe, Benzinpumpe und die Bremsen überholt und der Zylinder geschliffen. Und tatsächlich, am 3. Tage lief er wieder! Und das, obwohl die originalen Kopfdichtungen, die für genau dieses Baujahr passen sollten, dann eine andere Form bei den Wasserkanälen haben. Aber aus Gerhards Fundus können wir dann doch noch die richtige ausgraben Dann noch ein paar lockere Stündchen für die Grundfunktionen der Elektrik – zuletzt bekomme ich sogar den Scheibenwischer wieder zum Laufen, allerdings bewegt er sich mit einer Geschwindigkeit, die keine Schnecke zur Eile antreiben würde, falls sie die Windschutzscheibe zu queren beschlösse. Egal, er bremst, lenkt und fährt, und zum Pickerl kommt er dann hoffentlich im Frühjahr. Der kleine B1250 LKW verhält sich genau umgekehrt: Nach einem Ölwechsel und ein paar weiteren Handgriffen läuft der kleine Benzinmotor, als wäre nie etwas gewesen. Dafür sind die Bremszylinder inklusive Hauptbremszylinder hin. 2 lassen sich dann doch noch retten und zwei weitere kann Gerhard in seinem glücklicherweise gut sortiertem Teilefundus ausgraben. Neuen Hauptbremszylinder für eine Einkreisbremse gibt es noch für manche großen Gabelstapler, und beim LKW ist auch genug Platz, einen passenden Adapter dafür zu bauen. Während ich den Wagen abschmiere und ihm mit der Rolle eine Filmlackierung verpasse – schließlich soll er wie ein gebrauchtes Nutzfahrzeug und nicht wie ein glänzendes Museumsstück aussehen – taucht das nächste Problem auf: Die vorderen Bremsbeläge sind völlig am Ende und es gibt in ganz Wien keine Firma mehr, die Beläge aufnietet oder aufklebt ( Tipps werden dankbar angenommen, aber Kappus macht`s nicht mehr). Auch als Meterware bekommen wir weder Beläge noch Kupfernieten, so daß dieses Problem dann östlich der Grenze behoben werden muß. Noch eine neue Verkabelung wenigstens für die Beleuchtung, viel mehr Elektrik hat der kleine LKW ja eh nicht, und wir sind tatsächlich fertig, und das mehrere Stunden vor dem allerletzten Termin für die Anreise in die Steiermark!
Schnell noch einen zweiten Hänger gemietet, und wir machen uns auf den Weg übern Wechsel. Gerhard muß gleich zurück, während ich erstmal mit dem Requisiteur, der mir ein Zimmer besorgt hat, eine sehr ausgiebige Fahrt durch sehr finstere steirische Wälder mache, auf der Suche nach meinem Hotel. Kaum dort angekommen, erfahren wir: wegen allgemeiner Zimmerknappheit in der Schilchersaison wurde ich ausgelagert, es geht weiter auf die Reise, um die andere Pension zu finden. Diese entpuppt sich als völlig leeres Geisterhaus, in dem es weder Personal noch Gäste gibt, weil sie schlicht und einfach geschlossen ist. Aber die Wirtin drückt mir den Schlüssel in die Hand, es gibt warmes Wasser in der Dusche und jede Menge leere Zimmer, aus denen ich mir im Lauf der Woche frische Handtücher einsammeln kann. Ganz so hatte ich mir die Unterkunft als Filmstar trotzdem nicht vorgestellt. Ein weiterer Nachteil des glamourösen Filmbusiness ist das Aufstehen um 5Uhr früh. Am ersten Drehtag kommt nur der B1250 dran. Erst wird er mit einer Firmenaufschrift versehen und bekommt alte bayrische Besatzungszonenkennzeichen, dann geht es über private Feldwege (keine Zulassung) zum Set, wo wenigstens Kaffe und Frühstück warten. Ein typische Tag sieht dann so aus: Um 7 Uhr kommt man in die Maske,, wird eingekleidet und bekommt einen altertümlichen Haarschnitt. Kurz vor Mittag beschließt der Regisseur, das Auto, welches als Standmodell im Hintergrund zu sehen ist, soll doch bitte 1m weiter zurückgefahren werden. Mittagessen ist beim Film für alle außer den Topstars gleich, davon profitieren auch wir Fahrer oder Komparsen. Während eine bekannte deutsche Schauspielerin ein altes Tempodreirad quält, vergeht der Nachmittag, einmal wird überlegt, ob ich nicht im Hintergrund durchs Bild gehen soll. Bei Einbruch der Dunkelheit gebe ich mein Kostüm zurück und bringe den kleinen LKW wieder in die angemietete Halle.
Am nächsten Tag soll ich den Schauspieler, der als Bürgermeister den Hansa 1500 fährt, einschulen. Gottseidank hat er in einem früheren Leben mal LKW gefahren und erinnert sich ziemlich schnell wieder an Zwischengas und Zwischenkuppeln. Die ersten Proben laufen reibungslos, der Hansa springt jedesmal sofort an und ich fahre nach Anweisung in den Hof der alten Tischlerei ein und aus. Dann nimmt der Schauspieler am Volant Platz. Wir fahren zur Gewöhnung noch eine Runde übers Gelände, ich zeige ihm hinter welchem seltsamen Kippschalter der Choke versteckt ist und die Besonderheiten des Lenkradschlosses. Wir fahren zurück zur Kamera und plötzlich stottert die Kiste und bleibt stehen. Auf Überraschung folgt bald eine kleine Panik, alle warten, sieben Mann versuchen mir gleichzeitig unter die Motorhaube zu kriechen und erteilen teils möglicherweise gute, teils sehr offensichtlich schwachsinnige Ratschläge. Die Batterie ist frisch geladen und hält endlose Startversuche aus, manchmal stottert er ein wenig, stirbt aber sofort wieder ab. Ich habe das Gefühl, das er zuwenig Sprit bekommt und versuche es mit Pumpen, da sind sich dann zum ersten Mal alle Umstehenden einig, daß ich ihn absaufen lasse. (Tatsächlich stellt sich zuletzt heraus, daß mein Gefühl richtig war.) Obwohl das Schauglas des Benzinfilters vor dem Vergaser voll ist, kommt gerade genug Benzin für gelegentliches Stottern durch. Wir fangen allerdings am falschen Ende an, ich schraube den alten Filter ab und blase ihn durch, kein Dreck erkennbar, dann kommt die Leitung von der Benzinpumpe zum Vergaser, zwischendurch werden die Kerzen geputzt und die Benzinpumpe geöffnet. Was die Sache dabei wirklich lustig macht, ist das dies bei laufenden Dreharbeiten geschieht. Der Regisseur ist zwar nicht begeistert, improvisiert aber eine Szene so, daß sie mit stehendem Auto gedreht wird und in einer weiteren schieben 4 Mann den Wagen durch die Gegend, während die Kamera auf einem Gleis paralell fährt und nur den Mann am Steuer filmt. Zwischen den diversen Proben und Filmtakes darf ich dann manchmal für 10 Minuten ans Auto und weiterbasteln. Als das Licht schon schwächer wird, ist dann endlich klar: Im Tank hat sich genau im richtigen Moment ein wenig Rost gelöst und den dritten Filter vor der Benzinpumpe soweit verlegt, das zwar noch Sprit durchkommt, aber eben nicht genug. Als Notmaßnahme kommt daraufhin ein Benzinkanister vor den Kühler, von dem sich die Pumpe über einen langen Schlauch direkt sauberes Benzin holt. Dummerweise ist unser Darsteller mittlerweile so verschreckt, das er den Wagen nicht mehr abstellt, weil er Angst hat, er könnte nicht wieder anspringen, und ich habe den Kanister vor dem Kühler mit Bläschenfolie umwickelt, damit er nicht herumklappert und den Kühler beschädigt. Resultat: Nach dem dritten Take – jede Aufnahme war in diesem Fall: Er fährt in den Hof ein, steigt aus, wechselt 5 Worte und fährt rückwärts wieder raus, was ohne Außenspiegel in der nicht allzu breiten Einfahrt auch nicht lustig war, dann läuft der Wagen 15min im Stand, bis alles wieder vorbereitet ist für den nächsten Versuch – steht plötzlich eine Dampfwolke in der kühlen steirischen Herbstluft.
Nachts lade ich den Wagen auf den Hänger und taste mich durch Regen und Nebel über den Wechsel zurück nach Wien, wo der Tank ausgebaut und die Leitungen nochmal durchgeputzt werden, während ich bis 2 Uhr nachmittags durchschlafen kann. Am Abend geht’s zurück ins schöne Stainz, und am nächsten Tag läuft der Hansa zur allgemeinen Begeisterung, als wär` nie was gewesen. Ich komme nur manchmal ins Schwitzen, wenn der Darsteller beim Reversieren der Schnauze eines wunderschönen Steyr-LKW ziemlich nahekommt. Ganz schlecht für meine Nerven ist der Schreckensruf “Er springt nicht an!“, aber schnell stellt sich heraus, daß er den eigenen Motor nur nicht gehört hat, weil 2 Meter hinter ihm der Steyr nagelt. Obwohl alles funktioniert, bin ich ununterbrochen am Aufpassen, das dem Auto weder von außen irgendwelche Schäden zugefügt werden noch von innen beispielsweise der Kofferraumdeckel durch unsachgemäßes Beladen ausgebeult wird, so das ich am Abend statt heimzufahren sehr froh über das ungemachte Bett in meinem Geisterschloß bin.
Am 4 Tag bringe ich den Hansa heim und habe ein paar Tage Pause, bis endlich mein großer Auftritt kommen soll. Als ich wieder über den Paß fahre, ist auf einmal prächtiges Herbstwetter, was den Regisseur garnicht freut, da die ersten Szenen bei trüben, kalten Wetter mit gelegentlichem Nieselregen gedreht wurden und nachher im Film kein Wetterwechsel von einer Szene zur nächsten zu sehen sein darf. Also wird buchstäblich der Himmel verdunkelt, indem große schwarze Schirme Sonnenreflexe verhindern sollen. Mein altes LKW-Fahrergewand, das ich am ersten Tag angemessen bekommen hatte, ist nicht mehr auffindbar, also muss die Kostümbildnerin ein neues improvisieren, dann wird mir in der Maske gnadenlos mein schöner Bart abrasiert. Die Szene soll im wesentlichen so ablaufen. Der B1250 rangiert rückwärts in den Hof des alten Sägewerks, wird abgeladen und fährt wieder ab. Das Rangieren geht solange problemlos, bis mir hinten eine Ladung aufgepackt wird, die nicht nur beide Rückspiegel verdeckt, sondern erfordern würde, das ich mich ¾ aus dem Führerhaus hänge, um irgendetwas zu sehen. Wir einigen uns schließlich darauf, das die drei Mann , die auch noch auf meiner Ladefläche sitzen, ohne Rücksicht auf die Szene -(sowas am Set auch nur auszusprechen ist eine unvorstellbare Todsünde)- HALT schreien werden,bevor ich irgendwelche wichtigen Schauspieler plattfahre, während ich blindlings rückwärtsfahre und nur durch einen Zaun einen Anhaltspunkt für die Fahrtrichtung habe. Das Rausfahren nach dem Abladen ist dann ein Vergnügen, auch bei der 8ten Klappe springt der Borgward sofort an und alle sind glücklich und zufrieden. Resume: Verflixt anstrengend, endlose Warterei auf den Aufnahmezeitpunkt und vielleicht wird man mich irgendwann in der ARD sehen, wie ich ein paar Bretter in eine Werkstatt schleppe, das Ganze für sehr wenig Geld (35 Euro am Tag kriegt ein Komparse), aber natürlich würde ichs sofort wieder machen.