Elektroautos aus Bremen wurden schon 1907 gebaut

20 Jan 2020 18:49 - 20 Jan 2020 19:11 #36353 von LotharG.
Ein alter Hut: Elektro-Autos „Made in Bremen“ anno 1907, Reichweite 90 km mit einer Akku-Ladung



Das Elektroauto, das 1906 auf Bremens Straßen fuhr, war diese Taxi-Droschke. (Focke-Museum)
Bremen. Eine Million Elektroautos sollen nach dem Willen der Bundesregierung bis zum Jahr 2020 auf Deutschlands Straßen fahren. In der Metropolregion Bremen-Oldenburg wird derzeit mit einem großangelegten Modellversuch getestet, wie praxistauglich das Vorhaben ist. Es ist nicht das erste Mal, dass in der Hansestadt Pionierarbeit in Sachen Elektro-Fahrzeugen geleistet wird. Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts war Bremen eine Hochburg der E-Mobilität.

Der größte private Arbeitgeber unserer Stadt ist nicht der Im- und Exporthandel hiesiger Kaufleute - es ist das Mercedes-Benz-Werk Bremen mit rund 12600 Beschäftigten. Auf der rund 1400000 Quadratmeter umfassenden Werksfläche in Sebaldsbrück werden die Modelle C-Klasse, C-Klasse Coupé. E-Klasse Coupé und Cabrio, GLK, SLK und SL hergestellt; für die C-Klasse ist die moderne Produktionsstätte jüngst zum weltweiten Kompetenzzentrum aufgewertet worden.

Bremen, so viel steht fest, ist heute eine Metropole des Automobilbaus. In diesem Jahr werden mehr als 300000 Pkw die hiesigen Bänder verlassen. Nun werden so manche denken: schön und gut, aber richtig bremisch war doch nur die Borgward-Gruppe, deren Belegschaft im Jahr 1960 auch knapp 12600 Männer und Frauen zählte. Der höchste Jahresausstoß fiel übrigens ins Jahr 1955, als rund 108400 Einheiten die Bänder verließen. Carl F. Borgward (1890-1963) machte sich zu Beginn der 1920er-Jahre einen Namen als Automobilindustriezulieferer mit Sitz in der Neustadt. In seiner Bremer Kühlerfabrik Borgward & Co. entwickelte er 1924 den dreirädrigen Blitzkarren für Gewerbetreibende; hinzu kam der Goliath-Dreiradwagen. 1928 deckte er ein Viertel des deutschen Marktes an Kleinlieferwagen ab. Was daraufhin geschah - später mehr.

Das "HB" gibt es seit 1906

Die Erfolge von Borgward (bis zum Zusammenbruch 1961) und anhaltend Daimler (der Konzern übernahm 1969 zunächst die industrielle Führung des auch in Bremen produzierenden Herstellers Hanomag-Henschel), sollten nicht in Vergessenheit geraten lassen, dass Bremen bereits viel früher eine der drei deutschen Hochburgen der Automobilproduktion war - und zwar einer, die neuerdings wieder im Fokus des Interesses steht: der von Elektrofahrzeugen. Nach Plänen der Bundesregierung sollen 2020 gut eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen rollen. Derzeit werden in der Metropolregion Bremen-Oldenburg bekanntlich die ersten Fahrzeuge und Versorgungssysteme erprobt. Sie stammen allerdings nicht aus bremischer Produktion. Das war vor einem Jahrhundert anders.

Das mit Benzin betriebene Automobil, das seit 1886 in Deutschland zunächst von Carl Benz auf den Markt gebracht wurde, trat in Bremen wie andernorts zunächst nur vereinzelt in Erscheinung. Erst ab 1903 stieg ihre Zahl, folgten das Verbot des Befahrens des Bürgerparks und erste technische Sonderbestimmungen über Lärm und Abgase. Ab 1904 mussten Kraftfahrzeuge mit einer Erkennungsnummer gekennzeichnet werden; 1906 erhielt das bremische Staatsgebiet die vertrauten Buchstaben "HB". Im Deutschen Kaiserreich gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts 41 Unternehmen, die - überwiegend in geringen Stückzahlen und in kleinen Werkstätten - mithilfe von circa 1700 Beschäftigten jährlich rund 800 Kraftwagen bauten.

Neben Benz und Daimler & Cie. auch Opel und Horch. Zehn der damaligen deutschen Hersteller bauten ausschließlich Elektrofahrzeuge, sieben verkauften neben Elektro- auch Benzinwagen. Lizenznahmen erleichterten den kleineren Betrieben den Einstieg ins elektromobile Geschäft. Die ersten Akkumulatorenhersteller und Elektroautobauer formierten sich im Rheinland und Westfalen, als zweites Elektromobilitätszentrum schälte sich Berlin heraus und als drittes Bremen. Und zwar ab 1906, als in der Hastedter Föhrenstraße die Norddeutsche Automobil- und Motorenfabrik AG aktiv wurde.

Die Gründung der kurz NAMAG genannten Firma hatte der damalige Generaldirektor des Norddeutschen Lloyds, Heinrich Wiegand (1855-1909), betrieben, um unabhängiger vom Kerngeschäft zu werden. Beteiligte an dieser neuen Tochtergesellschaft der Reederei waren die Pariser Sociéte des Voitures Électriques, die Bremer Norddeutsche Maschinen- und Armaturenfabrik und ein Bankenkonsortium. Der französische Partner zählte zu den Treibern der Elektromobilentwicklung in Europa.

Dessen Gründer, der Elektrospezialist Louis Antoine Kriéger (1868-1951), hatte 1895 ein als Victoria karossiertes Taximodell mit einem Elektro-Vorderradantrieb entwickelt, das eine Reichweite von 30 Kilometern abdeckte. Vor allem Kriégers Motor war wegweisend, nutzte er doch schon die Bremsenergie. Bis 1908 verkaufte Kriéger rund 1200 Fahrzeuge und zusätzlich wohl fast so viele Lizenzen (Système Kriéger). Nach seinen Patenten entstanden ab 1906 im Bremer Werk überwiegend Elektrofahrzeuge für Gewerbetreibende Last- und Lieferwagen, Omnibusse und Taxis. Die Aufbauten der Fahrzeuge stellte die von der NAMAG aufgekaufte Wagen- und Carosseriefabrik Louis Gärtner AG in Bremen her.

Nachdem 1907 in der großzügig dimensionierten Fabrik die ersten 22 Fahrzeuge hergestellt worden waren, beantragte die NAMAG 1908 beim Bremer Senat die Konzession für 13 Elektrotaxen - Ende des Jahres kamen dann zwei oder drei in Betrieb. Zugleich ging der Hersteller mit der neu formierten Bremer Droschken-Aktiengesellschaft eine Verbindung ein, die die Elektrotaxen bewirtschaften sollte. Die Zeichen standen schon deshalb günstig, weil der Bremer Senat am 26. November 1909 ein Verbot für Taxen mit Ottomotoren verhängt hatte. Zu einigem Ruhm gelangte damals der Kutscher Johann Gischkowski, der sich 1906 eine Benzindroschke hatte konzessionieren lassen, die von den Bürgern in wütenden Leserbriefen als "Stinkdroschke" bewertet und abgelehnt wurde. 1911 hatte die Bremer Droschken AG 15 Elektrotaxen in Betrieb, die mit 28 Batteriesets der Firma Afa betrieben wurden.

Erster Weltkrieg beendet Geschäft

Zu jener Zeit gingen Autolobbyisten denn auch davon aus, die "glatte Asphaltfläche der großen Städte" würde zukünftig von "mit Sammlerelektrizität getriebenen Wagen" belebt sein. In Berlin, wo mehr als zehn Unternehmen Elektrofahrzeuge produzierten, fuhren 1912 bereits knapp 280 Taxis elektrisch. Sie genossen bei den Betreibern wegen ihrer hohen Betriebssicherheit und den relativ günstigen Wartungskosten einen guten Ruf - die Fahrgäste schätzten den ruhigen Lauf. Unterstützt wurde das System durch zahlreiche Akkumulatoren-Depots und Ladestationen.

Und was geschah in Bremen? Hier wurde das Geschäft ab 1913 schwieriger, weil die Bremer Straßen schlecht waren und die Taxen häufig repariert werden mussten. Als während des Ersten Weltkriegs keine Gummireifen mehr lieferbar waren, ging dem Elektrobetrieb völlig die Luft aus. 1917 fuhr keine Elektrodroschke mehr in Bremen. Zudem wurden - wie sich dann nach dem Krieg zeigte - die Benziner deutlich billiger. Die NAMAG wiederum, die 1913 die damals bedeutenden Hansa-Automobilwerke in Varel übernommen hatte, stellte den Bau von Elektromobilen keinesfalls ein.

Unter dem ab 1914 gültigen Firmennamen Hansa-Lloyd-Werke AG produzierte das Unternehmen fortan tausende Elektrolastwagen und -karren. Vor allem die Deutsche Reichspost, aber auch die Fischereihafenfirmen in Bremerhaven sowie Molkereien, Brauereien und Müllabfuhrbetreiber setzten auf die Lloyd-Mobile aus Bremen. Von den 1200 Elektrolastwagen, die 1928 höchst erfolgreich im Postdienst eingesetzt wurden, trugen gut die Hälfte das Lloyd-Markenzeichen. Als das Unternehmen um 1926 Trolleybusse entwickelte, schien sich eine vielversprechende neue Verkaufschance abzuzeichnen - immerhin forcierten damals viele Städte den Einsatz dieser Busse. Das Geschäft machten allerdings dann, und noch in den 1950er-Jahren, andere Unternehmen - Henschel, MAN und Daimler-Benz.

Und jetzt zurück zu Borgward. Bedingt durch die Weltwirtschaftskrise war Hansa-Lloyd so stark in die Krise geraten, dass Carl F. W. Borgward 1930/31 die Werke erwerben konnte und sie zunächst als Hansa-Lloyd- und Goliath-Werke, Borgward und Tecklenborg OHG weiterführte. Borgward allerdings war kein Freund der Elektromobilität - er setzte auf Benzin- und Dieselantriebe. 1936 entschloss er sich zudem für den Neubau einer Automobilfabrik in Sebaldsbrück, die 1938 als damals modernste Fabrik die Produktion mit einem Jahresausstoß von zunächst 20000 Fahrzeugen aufnahm. Seitdem ist der Glanz Bremens als bedeutender Elektroautomobilproduktionsort erloschen. Ob er wohl noch einmal hell strahlt?


Weser Report vom 19.01.2020, Autor Peter Kurze
Gruß Lothar

Goliath GD 750 Baujahr 1952
Hansa 1100 Tiger Cabriolet Baujahr 1959

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21 Jan 2020 10:50 #36358 von Contrebution
Im Anschluss zur obenstehendes Bericht, ist noch erwähnenswert das Peter Michels in sein Buch "Von Blitzkarren zum Grossen Borgward" ein Kapitel gewitmet hat in Sachen Elektrofahrzeugbau, ab Seite 257 mit viele interressante Bilder.
Diese Fahrzeuge wurden hauptsächlich bei Lloyd gebaut, vieles davon für BP und DB (Post und Eisenbahn).
Es ist schon erstäunlich was mann so alles bei der Borgward-Gruppe gebaut hat!

V.G., Jan

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21 Jan 2020 11:16 - 21 Jan 2020 11:18 #36360 von borgideluxe

Contrebution schrieb: Es ist schon erstäunlich was mann so alles bei der Borgward-Gruppe gebaut hat!
V.G., Jan


Dem kann ich mich nur anschließen! Und da tun die heute so, als wenn Tesla das Rad neu erfunden hätte. :laecheln: :lachen:

1924 Hansa Lloyd Elektro Lastwagen

Hier ein Bericht über Postfahrzeuge mit Elektro- Antrieb von damals:
emobicon.de/elektromobile-geschichte-der-berliner-post/

Gruß
Joachim


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